Aus dem Bergischen Land an den Broadway

Ein ungewöhnlicher Anblick, selbst für New York: eine junge Frau, die langen Haare unter ihrem schwarzen Zylinder verstaut, mit Zimmermannsweste in breitem, schwarzen Cord, Lederhose und einem freundlichen, selbstbewußtem Lächeln. Eine Handwerksgesellin auf Wanderschaft am Broadway!

Bis 1994 lebte Hilde Hanke in Bergisch Gladbach. Drei Jahre lang hat sie in Flensburg an der Werkkunstschule eine Ausbildung als Holzbildhauerin gemacht.

Seit dem Abschluß der Berufsausbildung 1997 ist sie auf Wanderschaft und hat mittlerweile schon Erfahrungen in Dänemark, Schweden, England, Irland, Mallorca und der Schweiz gesammelt.

Seit 800 Jahren besteht die Tradition, Gesellen auf Wanderschaft zu schicken, um in der Fremde Gelerntes zu erproben, weiterzugeben, aber vor allem, um noch dazuzulernen. Vor etwas 100 Jahren wurden die Schächte – Gesellenschaften – gegründet, die die Wanderschaft der Handwerker neu belebten. Nachdem dieser Brauch in der Zeit des zweiten Weltkrieges fast ausgestorben war, gab es im westlichen Deutschland eine Renaissance, während in der DDR das Wandern der Handwerksgesellen weiterhin verboten blieb. Einer der Schächte, die zuletzt gegründet wurden, ist die “Axt und Kelle”, die in den Siebzigern entstand. Im Gegensatz zu den ganz traditionellen Verbänden werden hier auch Frauen aufgenommen. Bis dahin waren auch Frauen unterwegs, allerdings ohne Schachtzugehörigkeit.

Hilde Hanke ist auch “frei reisend”, um nicht bei den halbjährlichen Pflichttreffen anwesend sein zu müssen. Die 28-jährige will die “zwei Jahre und einen Tag” voll nutzen, um soviel Berufserfahrung wie möglich zu sammeln.

Mit ihrem schwarzen Zylinder und der Zimmermannsjacke erzählt sie mit einem charmanten Lächeln, daß sie schon lange nach New York wollte, “das war schon immer mein Traum”. Anfang Februar war es dann soweit: “Das war wirklich super, mit dem Flugzeug zu landen und die Skyline Manhattans mit dem World Trade Center und Empire State Building zu sehen! Ein supertolles Gefühl, in dieser Stadt zu sein.” sagt sie und schlendert den Broadway entlang.

Mit einem Kollegen begab sie sich zunächst in den Norden des Staates New York. Da die Gesellen für das Reisen kein Geld ausgeben dürfen, wurde getrampt. Es ist hier allerdings lange nicht so einfach, in einem Betrieb arbeiten zu können, wie in Europa, da hier die Tradition der ziehenden Gesellen überhaupt nicht bekannt ist.

Bei einem Milchkaffee im “Eureka” an der Fifth Avenue erklärt sie, daß einige Dinge auf der Wanderschaft mittlerweile auch “moderner” gehandhabt werden. Von den traditionellen Regeln werden auch schon manchmal Ausnahmen zugelassen: wenn es anders nicht geht, darf eine Gesellin auf Wanderschaft z.B. auch Geld für eine Straßenbahn- oder U-Bahnfahrt ausgeben, sonst wäre es in der heutigen Welt nicht mehr zu schaffen, an einem Ort innerhalb von drei Tagen eine Arbeit zu finden; das ist nämlich auch eine der Bedingungen, die es einzuhalten gilt.

Obwohl die Handwerksbetriebe in Amerika sie nicht so bereitwillig aufnehmen wie in Europa, zieht sie aber auf jeden Fall eine positive Bilanz von ihrem Amerikaaufenthalt: “Die Mentalität hier ist so anders. Die Amerikaner sind alle sehr hilfsbereit und offen.” So hat eine Frau Hilde ihr Sommerhaus angeboten, um darin für einige Wochen zu arbeiten. “Ein Entgegenkommen, das ich auf meiner ganzen Wanderschaft schon erlebt habe.”

Sie schätzt es sehr, auf diese Weise berufsübergreifende Erfahrungen zu machen, da sie dadurch imstande ist, in einem viel breiten Tätigkeitsfeld aktiv zu sein.

Sie hat sich auch bei einer Bronzegießerei in New Jersey beworben, praktisch einem Vorort New Yorks. Um dorthin zu gelangen, durfte sie jedoch nicht “per Daumen” fahren: da das Trampen in New Jersey verboten ist, hatte die State Police sie und ihren Kollegen aufgegriffen und im Polizeiauto zur nächsten Bushaltestelle gefahren…

Heimweh hat sie in den knapp zwei Jahren ihrer Reise praktisch nie gehabt. Wenn sie bald nach Deutschland zurückkehren wird, will sie wieder ins Bergische Land gehen. “An der Ostsee ist es zwar fast noch schöner, aber für eine Holzbildhauerin ist der Markt dort einfach zu voll.” Im Bergischen Land gibt es dagegen nur noch eine Holzbildhauerin. In einigen Wochen wird sie wieder nach Hause fliegen. Wann genau das sein wird, ist aber noch nicht sicher, “wer weiß, was sich möglicherweise noch alles ergibt…”

Sie freut sich schon darauf, sich in ihrem Beruf selbständig zu machen und ihren eigenen Motive für Hausdekorationen, Laden- und Türschilder zu verwirklichen und nicht nur Rohlinge aus der Fabrik zu bearbeiten, wie es sonst häufig üblich ist.

Zum Schluß fragt sie noch nach dem Internetzugang in der Stadtbibliothek New Yorks, damit sie nach ihrer Email schauen kann. Auch etwas “Modernes”, was die Handwerksleute auf der Walz früher nicht kannten.

© Fotos: Petra Liebetanz

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