Boxen als Sport der Immigranten in New York

Ein kalter Novemberabend in Manhattan. Nachdem im Büroviertel an der Churchstreet sich langsam die meisten Angestellten auf den Weg nach Hause gemacht haben öffnet ein Boxklub seine Türen. Zwei Etagen muß man in den Keller hinuntersteigen und plötzlich ist man in einer anderen Welt: der Raum ist gefüllt mit Stimmengewirr, Kinder toben herum, Leute stehen zwischen den Stuhlreihen, unterhalten sich angeregt und trinken aus der Flasche. An den Wänden Malereien von alten Boxstars wie Rocky Graziano und Jake la Motta. In der Mitte des Raums der Ring, auf gleich der Kampf beginnen wird. In der Umkleidekabine steht ein junger Mann mit entschlossenem Blick kurz vor seinem Fight. Nur die angespannten Gesichtsmuskeln verraten seine Nervosität. Ausstaffiert mit Helm – wie es sich bei Amateurkämpfen gehört – die Hände bandagiert, die Boxhandschuhe angezogen und festgeschnürt. Gleich wird der Türke Eugene Masat (29), der in München Schwabing aufgewachsen ist und dort bis 1991 lebte, um den Ehrentitel kämpfen. Heute abend ist in dem Club „Heavy Hands” in der Park Place Manhattans ein Freundschaftskampf zwischen mehreren Vereinen New Yorks. Die Heimstereoanlage krächzt und vermag kaum die Ansage des Ringrichters in den Raum zu übertragen. Der Kampf beginnt. Sein Gegner Raul Rodrigez ist wie Eugene aus reiner Freude am Boxsport erst vor zwei Jahren in den Ring gekommen. Fairneß ist das oberste Gebot und es geht bei den drei Runden eines Kampfes nicht darum, den Gegner k.o. zu schlagen, sondern vor allem um Schnelligkeit, Wendigkeit und die bessere Reaktion. Schon in der ersten Runde wird der Kampf abgebrochen, weil Eugene seinem Gegenüber haushoch überlegen ist. Er hätte so gerne alle drei Runden durchgeboxt.

Daß Eugene sich einmal seinen Platz in Manhattan mit Fäusten erobern wird, hätte er sich vor einigen Jahren nie gedacht. 1991 ist er nach New York ausgewandert, um dort sein Glück zu versuchen und Schauspielerei zu studieren. Wie bei vielen Einwanderern in New York hat sich allerdings alles ganz anders entwickelt. Aus dem einstigen „Job” als Barkeeper – er hat bei Schuhmann in München von der Pike auf gelernt, wie man gute Cocktails macht – ist mittlerweile sein Beruf geworden. Neben der gestylten Atmosphäre cooler Bars haben ihn aber immer auch typisch männliche Sportarten fasziniert. Er hält viel von männlich kultivierter Haltung und Begriffen wie Ehre und Fairneß. So war es kein besonders großer Sprung für ihn von der Theke in den Boxring.

Eine seiner Kunden hatte gerade einen neuen Boxklub eröffnet, nachdem der Sport in Manhattan in den letzten Jahren in New York ein Tief erlebt hatte und viele Vereine geschlossen wurden. Justin Blair (27) hat aus seiner Begeisterung seinen Beruf gemacht und leitet nun den Klub „Heavy Hands” in der Church Street Manhattans, nur einen Steinwurf von den beiden Türmen des World Trade Centers entfernt und in Fußwegnähe zur New Yorker Börse.

Immer wieder kann man in Magazinen die Erfolgsstories von Aussteigern lesen, die in New York eine steile Karriere gemacht haben. Für die meisten Einwanderer ist es jedoch eine harte Zeit, sich seinen neuen Platz in einer zumeist fremden Gesellschaft zu erobern. Wer obendrein nicht den Vorteil hat, durch gute Vorbildung die Sprache auf Anhieb zu meistern und einen der begehrten Jobs in der Finanz- oder Modewelt zu bekommen, ist darauf angewiesen, sich seinen Lebensunterhalt mit Tagelöhnerarbeiten zu verdienen. Wer als Taxifahrer arbeitet, ist schon recht gut dran, obwohl auch hier der Lohn kaum mehr als die Miete aufbringt. Das Leben in New York ist teuer. Wenn man bedenkt, daß eine kleine Einzimmerwohnung hier normalerweise umgerechnet DM 2.000,- kostet, wird schnell klar, weshalb man mit Aushilfsjobs hier nie auf einen grünen Zweig kommt.

Das Boxen war in Amerika schon immer ein Sport der Neuankömmlinge: im letzten Jahrhundert waren die größten Stars im Ring irische und englische Namen wie Jacob Hayer und sein Sohn Tom in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Um 1900 war das Boxen ein beliebtes Volksvergnügen. Am Wochenende fuhren die New Yorker nach Coney Island, dem Vergnügungspark an der Atlantikküste, um dort Boxkämpfe im Freien anzuschauen.

Die größten Publikumsmagneten waren jedoch die großen Profikämpfe zwischen den beiden Weltkriegen, wie zum Beispiel die Kämpfe zwischen Max Schmeling gegen Joe Louis 1936 oder die Revanche am 22. Juni 1938 mit 75.000 Zuschauern im Yankee-Stadion, in dem der Deutsche schon nach 2 Minuten und 4 Sekunden ausgezählt wurde. Hitler soll vor damals vor Wut geschnaubt haben, daß ein Schwarzer den deutschen Schmeling besiegte.

In der Zeit von Video und Kabelfernsehen hat der Sport allerdings einen Einbruch erlitten. Viele Boxklubs mußten in den letzten Jahren schließen. Justin Blair hat es in diesen schwierigen Zeiten trotzdem gewagt, einen neuen Verein zu eröffnen und hat damit großen Erfolg.

Für den Erfolg des Vereins „Heavy hands” spricht vielleicht auch sein besonderes Konzept: der Klub soll sowohl ein offener Verein sein, als auch die Gelegenheit für private Veranstaltungen bieten. Justin Blair hat darum einen zweiten Ring in einem abgeschlossenen Raum eingerichtet, der sämtliche Einrichtungen bietet, die sich Boxprofis wünschen: neben den Sandsäcken und Punching-Balls fehlt auch nicht die Stereoanlage im „Separé”. Dieser Raum wird zunehmend von den großen Profis wie Mike Tyson angemietet, wenn sie vor den Kämpfen unter Ausschluß der Öffentlichkeit und der Presse trainieren wollen. Ab und zu findet dort allerdings etwas ganz Besonderes statt: es sollen sich hier schon öfter rivalisierende Gruppen der Börse eingefunden haben, um zur Beilegung ihrer Fehde ihre Chefs in den Ring zu schicken. Diese basis-demokratische Form der Konfliktlösung bietet durch die Möglichkeit des Wettens obendrein die Gelegenheit, aus dem Verlieren des eigenen Teams noch Gewinn zu schlagen…

Wenn man in diesen Boxkeller Manhattans heruntersteigt, ist man überrascht, welches Leben dort herrscht. Stark vertreten sind hier vor allem die Bevölkerungsgruppen der Ländern zu sehen, die die größten Einwandererzahlen in die USA stellen: Puertorikaner und Mexikaner, hier einfach die „Hispanics” genannt. In den letzten 25 Jahren hat sich ihr Anteil an der New Yorker Bevölkerung von 17 auf 25% erhöht.

Ganze Familien sind zu diesem Abend in den Verein gekommen. Kinder turnen in der Pause im Ring herum und spielen nach, was sie gerade im Kampf gesehen haben – und trotzdem ist es eine Atmosphäre, die alles andere als brutal oder gewalttätig ist, sondern vielmehr Volksfeststimmung, bei der jeder auf seine Kosten kommt. Hart und gerecht.

Justin Blair, der neben seiner Karriere als Boxmanager sein Studium in Anthropologie abgeschlossen hat, glaubt, daß Boxen bei den Immigranten vor allem deswegen so beliebt ist, weil im Ring nicht mehr die Herkunft, sondern nur die Leistung zählt. Für viele ist dies der einzige Ort, an dem für sie noch gesellschaftliche Anerkennung vorstellbar ist.

Am Tresen gibt es selbstgemachte Tacos und Empanadas, Softdrinks, Beck’s und natürlich das mexikanische Modebier Corona. In den Pausen kann zu heißer Salsa-Musik getanzt werden, so daß der Besuch in den „Heavy Hands” ein regelrechtes „Gesellschaftsereignis” wird.

Die Mischung bei einem solchen Boxkampf ist so einzigartig, wie sie nur in New York zu finden ist. Die Faszination des Boxsports geht durch alle Schichten, so daß neben dem Tagelöhner, der sein Geld in einem Lebensmittelladen verdient, indem er Brötchen belegt, hier unter Umständen der Wall-Street-Banker sitzt, der nach Feierabend hierher kommt, weil der Boxklub nur einen Steinwurf vom New Yorker Finanzzentrum entfernt ist.

So wundert es einen dann auch kaum mehr, daß Eugene nichts Besonderes mehr dabei empfindet, an einem Abend im Schweiße seines Angesichts mit den Fäusten um die Ehre des Besten zu kämpfen und am nächsten Tag zur gleichen Zeit in der „Lot 61″ – eine der angesagten Cocktailbars Manhattans an der 21sten Straße – hinter dem Tresen zu stehen und den Kunden die neuste Kreation aus seinem Shaker zu servieren.

Die Veranstaltungen des Boxklubs Heavy Hands (25 Park Place) können abgefragt werden unter Tel. 001-212-5171333 oder an der Internet-Adresse www.nyboxinggym.com. Die Adresse der Lot 61 ist:

550 21st street,
Tel.: 001-212-2436555, Internet: www.lot61.com

Text: Horst Seele-Liebetanz
Fotos: © Petra Liebetanz

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