Bremer Beutekunst vor Gericht

Eine ungewöhnliche Reise nach York hat vor zwei Wochen Anne Röver-Kann aus Bremen angetreten. Nicht um sich das Empire State Building, den Central Park und das Guggenheim-Museum anzuschauen, ist sie über den großen Teich geflogen, sondern um an einem Gerichtsprozeß teilzunehmen. Die Staatsanwaltschaft hat Anne Röver-Kann als Zeugin nach New York eingeladen.

Die Bremerin mit der ruhigen Art und dem freundlichen Lächeln erzählt, wie sie nach New York kam, um einen der bedeutenden Fälle von internationalem Kunstdiebstahl mit aufzuklären. Die Kustodin des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle Bremen hat seit 1993 die abenteuerliche Geschichte von 12 Zeichnungen aus der Bremer Kunsthalle mitverfolgt, die nach dem Ende des zweiten Weltkrieges verschwanden. Seit dem 10. Mai 1999 sind die 12 Zeichnungen Gegenstand eines Strafprozesses vor dem United District Court in Manhattan, bei dem Anne Röver-Kann als Expertin ausgesagt hat, da sie die Bilder bestens kennt und bei der Wiederbeschaffung der Zeichnungen maßgeblich beteiligt war.

Während des Krieges waren die 12 Bilder, von denen das „Frauenbad” von Dürer sicher das Bekannteste ist, in einem Schloß in Karnzow bei Berlin ausgelagert.

Am Ende des Krieges wurden in dem Schloß russische Soldaten einquartiert. Eine Hausangestellte soll den russischen Soldaten das Versteck hinter einer doppelten Mauer im Keller des Schlosses verraten haben. Der verantwortliche Major, im Zivilberuf Architekt, hat dann die Bilder in die UsSSR mitgenommen und dem Direktor des Architekturmuseums in Moskau übergeben. Von den rund 600 Zeichnungen aus dem Schloß bei Karnzow wußte man, daß etwa 100 in der Petersburger Eremitage, 100 im Puschkin-Museum in Moskau und weitere 100 in der deutschen Botschaft lagerten. Von den restlichen Zeichnungen – darunter den 12 aus Bremen – fehlte jede Spur.

Erst 1993 tauchten die Bilder plötzlich in einer Ausstellung des Museums in Baku in Aserbaidschan auf. Die Deutsche Botschaft hat dort in einem Zeitungsbericht die Bilder gesehen und die Bremer Kunsthalle informiert. Der Direktor der Kunsthalle Salzmann wollte sich gleich nach Baku aufmachen, um die Bilder zu prüfen. Kurz vor seiner Abreise wurden die zwölf Bilder aus dem Museum gestohlen.

Einige Zeit war es wieder ruhig um die Bilder. Mitte der 90er Jahre wurden sie kurz dem Auktionshaus Sotheby’s in New York angeboten. Da das FBI eingeschaltet wurde, haben sich die Anbieter aber gleich wieder zurückgezogen.

Erst im April 1997 nimmt ein Japaner mit der deutschen Botschaft in Tokyo Kontakt auf und bietet die 12 Zeichnungen für zunächst 12 Mio. US-Dollar an. Es ist ein nierenkranker Mann, der sich später als Verbindungsmann zu den Eigentümern herausstellt und der die zu erwartende Provision zur Deckung der hohen Dialyse-Kosten brauche. Obwohl die Kunsthalle großes Interesse an den Zeichnungen hat, ist man natürlich nicht bereit, einen so überhöhten Preis zu zahlen. Es ist höchsten an eine Finderlohn zu denken. Während der anschließenden Gespräche, von denen eines auch in Bremen stattfand, wurde der Japaner auf 6 Mio. $ heruntergehandelt.

Richtig spannend wurde es für Anne Röver-Kann dann bei dem Besuch in New York im September 1997, als die Bilder übergeben werden sollten. Mittlerweile war der amerikanische Zoll in der Angelegenheit eingeschaltet und bei den Gesprächen mit einem verdeckten Ermittler beteiligt, der als „Geschäftskontakt” in New York vorgestellt wurde. Der Japaner sollte in New York von aserbaidschanischen Mittelsmännern die Originale erhalten.

Aydyn I., ein in Aserbaidschan sehr bekannter Ringer und Wirtschaftstycoon, sowie seine Frau Natavan A. haben die Zeichnungen nach New York geflogen und bei einem Landsmann namens Ibrahim, ebenfalls Ringer, zwischengelagert.

Da es sich bei den Kunstdieben offensichtlich nicht um Profis handelte, gestaltete sich die ganze Übergabeaktion eher wie eine entgleiste Jerry Cotton-Aktion: der Übergabetermin für die ersten sechs Bilder an einem Bankschließfach platzte, weil der passende Schlüssel nicht da war. Frau Natavan, die extra anreiste und den Schlüssel bei sich trug, war mit ihrem Flugzeug in London hängen geblieben.

Um nun doch noch wenigstens einige der anderen sechs Bilder zu sehen, sollten Anne Röver und der getarnte Zollbeamte (der mit Mikrofonen und Ortungssendern „gespickt” war) mit den Hehlern nach „Klein Odessa” in den Stadtteil Brightonbeach nach Brooklyn fahren. Nach langem hin und her einigte man sich schließlich darauf, daß man im Konvoi mit einem Taxi den Hehlern hinterher fährt, wobei diese das Taxi versehentlich abhängten. Der Kontakt wurde wieder hergestellt und drei Tage später fand dann schließlich die tatsächliche Übergabe in einem Hotelzimmer in Manhattan statt, bei dem 6 Originale (davon fünf der Bremer Zeichnungen) übergeben wurden. Beim Verlassen des Gebäudes wurden der Japaner und die zwei aserbaidschanischen Kontaktleute Ibrahim und Natavan in der Hotelhalle festgenommen. Bei anschließenden Hausdurchsuchungen wurden alle Zeichnungen wohlbehalten vorgefunden.

Der schwer kranke Japaner gestand alle Mitschuld und wurde wegen seines Gesundheitszustandes und gegen Kaution nach Japan freigelassen. Eigentlich hatte er als Hauptbelastungszeuge aussagen sollen, ist aber mittlerweile verstorben. Frau Natan A., die pikanterweise in Aserbaidschan Staatsanwältin ist, beteuert aber weiterhin ihre Unschuld und behauptet, nur als Mittlerin für die „Eigentümer” der Zeichnungen fungiert zu haben.

Nach den Worten des Deutschen Kulturattachés in New York, Ludwig Linden, hat dieser Fall Signalwirkung für die internationalen Kunsthehler. Wegen des hohen Wertes der Gegenstände wurde nicht nur ein zivilrechtliches Verfahren, sondern ein Strafprozeß vor dem United District Court angestrengt. Den Angeklagten drohen im Falle einer Verurteilung Strafen von drei bis fünf Jahren Gefängnis.

In dieser Woche (ab dem 17. Mai) wird das Gericht den genauen Weg der Bilder von Bremen über Baku nach New York rekonstruieren. Dies ist vor allem für die Frage bedeutend, die im anschließenden Zivilprozeß beantwortet werden muß: Wer ist der rechtmäßige Besitzer der Zeichnungen? Die Bremer Kunsthalle oder das Museum in Baku, das vorgibt, die Kunstwerke im guten Glauben erstanden zu haben.

Der auf internationale Kunstdiebstähle spezialisierte Rechtsanwalt Korte geht davon aus, daß der zweite Prozeß mit etwas Glück schon in drei Monaten abgeschlossen sein kann. Nach der anzuwendenden Haager Landkriegsordnung von 1899, dem Vorläufer der Genfer Konventionen, sieht der Fall für Bremen recht gut aus: demnach dürfen Kunstwerke nicht „geplündert” werden und sind den ursprünglichen Eigentümern zurückzugeben.

Solange die Prozesse nicht abgeschlossen sind, werden die Zeichnungen allerdings noch in der Asservatenkammer des Zolls im World Trade Center gelagert.

Anne Röver-Kann hat die Zeichnungen im Rahmen der Beweisaufnahme dort schon sehen können und meint, daß sie wieder gut herstellbar sind, obwohl sie etwas „schmuddelig und mitgenommen” aussehen. Wenn sie hoffentlich bald nach mehr als 56 Jahren wieder nach Hause kommen, wird man für sie in der wiedereröffneten Kunsthalle mit Sicherheit einen Sonderplatz organisieren.

Schon seit Jahrzehnten kam Anne Röver-Kann regelmäßig nach New York. Jetzt ist sie aber froh, wieder nach Bremen zurückzufliegen. „Zwei Wochen in dieser Stadt sind ja doch sehr anstrengend!”

Text: Horst Seele-Liebetanz
Foto: © Petra Liebetanz

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