Requiem für einen jungen Dichter

Am Dienstagabend wurde in der New Yorker Carnegie-Hall das “Requiem für einen jungen Dichter” von Bernd Alois Zimmermann zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten aufgeführt.

Auf der Bühne der 1891 eröffneten Konzerthalle, die als die bekannteste der Vereinigten Staaten gilt, haben die 350 Musiker nur mit Mühe Platz gefunden, so daß das Dirigentenpult in den Zuschauerraum hinein angebaut werden mußt.

Vor fast ausverkauftem Haus wurde vom Rundfunkorchester des Südwestfunks unter der Leitung von Michael Giehlen zusammen mit drei Chören aufgeführt. Das Stück von Ohnesorg, der ab 1957 Dozent an der Kölner Musikhochschule war, wurde vom Publikum sehr aufmerksam und kritisch aufgenommen und anschließend mit begeistertem Beifall belohnt, was in New York gewiß nicht selbstverständlich ist. Dies ist um so erfreulicher, als es sich bei Zimmermanns Requiem um ein Mounumentalstück handelt, das keine leichte Kost ist.

Tonbandaufnahmen von Papst Johannes XXIII, Hitler, Stalin und Churchill, Zitate von Wittgenstein wechseln sich dort mit Fragmenten von “Hey Jude” der Betales und Beethovens Neunter Symphonie ab.

Eines der beunruhigendsten und ambitioniertesten Stücke der Moderne, das hier seine Premiere in der neuen Welt hatte. Michael Giehlen hat sowohl die Uraufführung des Stückes in 1969 in Düsseldorf sowie 1965 Zimmermanns Oper “Die Soldaten” dirigiert. Sowohl seine langjährige Arbeit mit dem Werk sowie seine Freundschaft mit dem Komponisten zeichnen ihn als einen der besten Kenner Zimmermanns aus.

Neben dem Orchester mit großer Bläserbesetzung sind drei Chöre mit jeweils 80 Stimmen, ein Jazz Quintett, zwei Sopranos, ein Bariton, zwei Sprecher bei der Aufführung dabei. Tonbandaufnahmen werden über sieben Lautsprecher in den Zuhörerraum gespielt, die sich mit Orchester- und Solistenpartien zu einer dicht gewebten Collage verbinden. Nur knapp länger als eine Stunde vereinigt das Stück Texte und Originalaufnahmen von Staatsmännern, Schriftstellern und Philosophen der Zeit von 1920 bis 1970.

Diese Zeitspanne der turbulenten europäischen Geschichte von Nazizeit, Nachkriegswirren, Niederschlagung des Aufstands von Ungarn über die Besetzung der Tschechoslowakei durch die UdSSR bis zu den 68er Demonstrationen. Zugleich ist es die Zeit, die der Komponist Franz Xaver Ohnesorg lebte. Er hat die Uraufführung seines Stückes nicht mehr erlebt. 1969 wegen einer schweren Depression eingewiesen, konnte er an der Weltpremiere im Dezember des gleichen Jahres in Düsseldorf nicht beiwohnen. 1970 beging er Selbstmord.

Er widmete das Stück drei Schriftstellern dieses Jahrhunderts: dem Österreicher Konrad Bauer, den Russen Sergei Jesenin und Wladimir Majakowski, die sich alle drei auch das Leben genommen haben. Es scheint beinahe, daß er in seinem schwermütigen Gemüt langfristig auf den Suizid hingearbeitet hat, sich mit der Hoffnungslosigkeit des “In-die-Welt-geworfen-Seins” auseinandergesetzt hat, seinen Vorbildern folgte und letztlich dieser Stimmung ein mit seinem Requiem ein Denkmal setzte.

Das Stück entwickelt sich aus den verschiedenen Versatzstücken zu einer immer dichter werdenden Struktur von Einzelteilen der Tonbandstücke mit den Orchesterpassagen, die aber selten an die Grenze einer Kakophonie kommen. Vielmehr gleicht das Zuhören dem aktiven Erinnern von Geschichte: man verbindet die Fragmente von Zitaten mit der Musik, mit den angespielten Stücken aus der Zeit, wie “Hey Jude”, so wie ein Radio, das gleichzeitig verschieden Sender empfängt. Verschiedene Ebenen, auf denen gleichzeitig gespielt wird, die vom Zuhörer zu einem Ganzen vereinigt werden.

Man hört, daß Zimmermann ein Zeitgenosse von Stockhausen war, der ungleich mehr Anerkennung in der Musikwelt erfuhr als er. Offensichtlich hatte Ohnesorg sich nicht dem Druck der seriellen Musik in jener Zeit ergeben. Seine ersten größeren Erfolge kamen allerdings erst mit den seriellen Techniken.

Dies alles kein Leichtes und um so mehr Ehrung für Das Orchester, des Südwestfunks, die Chöre des WDR und SWF sowie Michael Giehlen, mit so schweren Tobak die Herzen der New Yorker geöffnet zu haben.

Möglich gemacht wurde die Aufführung durch die im Dezember letzten Jahres verstorbene Intendantin der Carnegie Hall, Ms. Arron. Sie hatte Michael Giehlen das Requiem 1995 in Salzburg dirigieren sehen und war begeistert – wenigstens ein Mal muß dieses Stück in Amerika gespielt werden. Auch sie hat die Premiere nicht mehr erleben können.

Weitere Informationen über das Requiem und die Carnegie Hall finden sich auf der sehr aufwendig gemachten Website www.carnegiehall.org Dort sind auch Auszüge des Stückes zu hören.

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